Familie Schettler blickt von oben aufs Viertel – und ist doch voll und ganz verbunden mit dem Leben im Quartier. Eine Geschichte über Urbanität, Nachhaltigkeit und eine bewegte Küche.
Der Blick über den Vorplatz des Jugendzentrums Bergstraße reicht weit. Man sieht die beiden Türme der Laurentiuskirche, das bullige Glanzstoff-Hochhaus und sogar die Königshöhe. Alles scheint so nah beieinander zu liegen. Und genau das ist der große Vorteil, sagen Katja und Olaf Schettler, die mit ihrer gemeinsamen Tochter Frida seit gut 14 Jahren hier zu Hause sind. Auf rund 120 Quadratmeter leben sie in ihrer Wohnung oberhalb des Jugendzentrums Bergstraße. Die Verortung ist nicht ganz eindeutig: Ölberg oder Luisenviertel? Vielleicht genau dazwischen. Den beschriebenen Fernblick können die drei aus allen Fenstern genießen, die zur Südseite ausgerichtet sind. Und das sind einige, denn das 1872 vom Elberfelder Erziehungsverein gebaute Fachwerkhaus mit verschieferter Fassade ist genau parallel zur Talachse ausgerichtet.
„Man kann mal eben vor die Tür gehen und Kultur erleben.“
Katja Schettler
Der schier endlos lange Flur ist das Herzstück der Wohnung – und wird gleichzeitig als Galerie genutzt. Hier hat das Ehepaar alte Designplakate, Familienfotos, Kinderzeichnungen und eigene Kunstwerke bunt miteinander gemischt. Der Gang durch die Wohnung gleicht einem Ausstellungsbesuch. Überall gibt es etwas zu entdecken. Für die Bewohner ist er auch mit Erinnerungen verknüpft: „Als Frida laufen lernte, hat sie es den ganzen Flur lang bis in die Nachbarwohnung geschafft“, erinnert sich Katja Schettler.
Anbau mit Eigenleben
Erwachsener Besuch wird in der Regel in der lichtdurchfluteten Küche am anderen Ende des Flurs empfangen. Hier spielt sich auch ein Großteil des Familienlebens ab. Der Raum befindet sich in einem Bereich, der nachträglich angebaut wurde und „leider nicht so gut isoliert ist“, wie Olaf Schettler sagt. Die Tatsache, dass man sich hier irgendwie außerhalb der eigentlichen Wohnräume befindet, ist sogar spür- und hörbar. Leichte Wippbewegungen werden über die Holzdielen auf den ganzen Raum übertragen, sodass sich die Gläser im hölzernen Retro-Buffet durch ein leises Klingeln bemerkbar machen.
„Die meiste Zeit ist es hier trotz der zentralen Lage sehr ruhig“, sagt Olaf Schettler. Und der 52-Jährige kann das aufgrund seiner Tätigkeit gut beurteilen. Seit etwa zehn Jahren ist die ehemalige Pfarrwohnung in der zweiten Etage des Gebäudes nämlich nicht nur Lebensraum, sondern auch Hauptsitz seiner Ein-Mann-Werbeagentur. Hauptarbeitsplatz ist das erste Zimmer auf der linken Seite, nachdem man die Wohnung betreten hat. „Direkt nebenan ist noch ein Raum, der eigentlich zu unserer Wohnung gehört, den haben wir aber unserer Nachbarin als Büro zur Verfügung gestellt“, erklärt Olaf Schettler. Dieses zusätzliche Zimmer war ursprünglich eine Art Empfangszimmer, in dem der ansässige Geistliche Besuch empfangen konnte.
Stuhlkunst
Auch Katja Schettler, die seit diesem Jahr als Leiterin des Katholischen Bildungswerks und der Familienbildungsstätte arbeitet, nutzt gelegentlich das gemeinsame Büro. Entsprechend gut gefüllt ist dieser. Um Platz zu sparen, wurden einige „Besucherstühle“ kurzerhand an der Wand befestigt. Ein kurioser Anblick, der ein bisschen an eine Kunstinstallation erinnert. „Hier wird jeder Zentimeter genutzt“, sagt die 51-Jährige und lacht.
In ihrer neuen Funktion als Leiterin kümmert sich die promovierte Literaturwissenschaftlerin auch um die Organisation von Lesungen, Vorträgen und Workshops. Dafür pendelt sie nicht selten mit der Schwebebahn in Richtung Barmen. Dort befindet sich das Büro der Familienbildungsstätte, einer von zwei Arbeitsplätzen. Der zweite im Stadthaus am Laurentiusplatz ist fußläufig erreichbar. Das ist dann auch die überwiegende Fortbewegungsart der Familie Schettler. „Wir hatten noch nie ein eigenes Auto. Wenn wir mal eins brauchen, nutzen wir Carsharing, für Urlaubsfahrten auch mal einen Mietwagen. Das funktioniert super“, sagt Olaf Schettler. Das Thema Nachhaltigkeit spielt grundsätzlich eine große Rolle im Hause Schettler. Neben dem Verzicht auf klimaschädliche Fortbewegung, meidet man auch die einschlägigen Discounter, Lebensmittel werden entweder direkt im Viertel eingekauft oder vom Biohof geliefert. Fast das gesamte Leben spielt sich im direkten Umfeld ab. „Man kann mal eben vor die Tür gehen und Kultur erleben“, bringt es Katja Schettler auf den Punkt. Und das ist durchaus wörtlich gemeint, schließlich befindet sich in direkter Nachbarschaft das Kunst- und Kulturzentrum Loch, in dem regelmäßig Konzerte und andere Veranstaltungen stattfinden. Gerne besuchen die beiden auch die diversen Cafés und Restaurants im Luisenviertel wie auf dem Ölberg.
Inzwischen weiß auch die 15-jährige Tochter Frida die zentrale Lage ihres Zuhauses zu schätzen. „Unsere Wohnung ist erste Anlaufstelle für den gesamten Freundeskreis“, sagt Mutter Katja. Gemeinsame Stadtbummel in der Elberfelder Innenstadt oder durch die Friedrich-Ebert-Straße starten quasi direkt vor der Haustüre. Nur das mit zahlreichen bunten Graffitis verzierte Gelände des Jugendzentrums muss vorher überquert werden. Hier sei eigentlich immer was los, sagen die Schettlers. „Die Jugendlichen treffen sich hier, treiben Sport oder sprühen neue Bilder an die Wände.“ Wird einem der Trubel nicht irgendwann zu viel? „Eigentlich nicht. Nur während der Corona-Lockdown-Zeit war es etwas stressiger.“ Sollte es den Dreien dann doch mal zu bunt werden, flüchten sie sich einfach ins Grüne. Genauer gesagt in den Familienschrebergarten auf der anderen Seite des Tals.
Text: Marc Freudenhammer
Fotos: Süleyman