Das Luisenviertel entwickelt sich ständig weiter. Neue Geschäfte und Gastronomie, eine Fußgängerzone auf Zeit – so soll es sein. Aber wie geht es weiter? Das haben wir die Bundestagsabgeordneten Anja Liebert und Helge Lindh gefragt.
Es ist ein sonniger Tag auf dem Laurentiusplatz. Über die Köpfe einer Hochzeitsgesellschaft erheben sich bunte Luftballons in den Sommerhimmel. Die Sitzplätze in den Cafés sind bereits gut gefüllt. Das Viertel atmet auf, diesen Eindruck haben auch die beiden Bundestagsabgeordneten Anja Liebert (Bündnis 90 / Die Grünen) und Helge Lindh (SPD), mit denen wir über die Zukunft des Viertels sprechen wollen. Wir suchen uns ein gemütliches Plätzchen am Rand, um ungestört reden zu können. Die Fragen stellt Michael Kozinowski, Vorsitzender der Interessengemeinschaft Friedrich-Ebert-Straße e. V.. Wie wollen wir zukünftig leben und arbeiten im Viertel? Was sind unsere Stärken? Worauf müssen wir achten?
Sie sind ja beide mit Ihren Büros in unserem Viertel heimisch geworden. Wie erleben Sie das Zusammenspiel von Leben und Arbeiten?
Anja Liebert: Wir haben hier sehr viele politisch interessierte Menschen und ich denke, es gibt großes Entwicklungspotenzial, das gefällt mir besonders.
Helge Lindh: Ich habe mich bewusst für ein Büro im Luisenviertel entschieden, traditionell wäre mein Platz ja in der Elberfelder Parteizentrale. Aber ich wollte es den Menschen möglichst einfach machen, mit mir in Kontakt zu kommen. Dafür ist das Luisenviertel perfekt.
Trotz der schweren letzten zwei Jahre funktioniert das Zusammenleben hier ziemlich gut. Sind wir auf dem richtigen Weg?
Liebert: Ich denke schon. Dadurch, dass der Abschnitt am Laurentiusplatz autofrei geworden ist, sind viel mehr Menschen unterwegs, sitzen in den Cafés und genießen die Zeit. Es gibt aber auch Dinge, die man noch verbessern kann. Ich finde es wichtig, dass es mehr kommerzfreie Räume gibt, wo man sich einfach so aufhalten kann. Außerdem bräuchten wir mehr Anlaufstellen für Kinder und Familien. Auch eine Verbesserung der Wohnsituation wäre wünschenswert. Gerade was die Themen altersgerechtes Wohnen und Sanieren angeht. Dafür wurden ja extra Gelder im Bundeshaushalt bereitgestellt.
Lindh: Im Grunde müsste man das Luisenviertel – in vielerlei Hinsicht – klonen. Aber Spaß beiseite, jedes Quartier hat natürlich andere Probleme. Hier haben wir ein historisch gewachsenes Labor des Zusammenlebens verschiedener Generationen. Das ist natürlich nicht bruchfrei, zum Beispiel beim Thema Lärm und Wohnen. Wir müssen uns die Frage stellen, wie ist urbaner Raum heute möglich? Das bedeutet natürlich, dass Leute auf der Straße sind, dass es Gastronomie gibt, dass es Einzelhandel gibt und auch Wohnen, sonst sind Städte nicht lebenswert. Dieses Miteinander erlebt aktuell eine Renaissance. Wir haben so lange über Globalisierung und Digitalisierung nachgedacht und dabei vergessen zu leben. Hier im Viertel üben wir das ein und ich denke, es gibt viel Positives, was man daraus ablesen kann.
Ich finde, wir sollten möglichst immer das direkte Gespräch suchen, in den sozialen Medien wird ja oft eine einzige Meinung gehyped.
Anja Liebert
Wie sorgen wir dafür, dass diese Mischung weiterhin so gut funktioniert?
Liebert: Was die Lärmprobleme angeht, die sind ja oft nur zu bestimmten Zeiten, wo es hoch her geht, zum Beispiel, wenn die Schulabschlüsse gefeiert werden oder das Semester beginnt. Und natürlich haben junge Leute Nachholbedarf, gerade jetzt nach der Corona-Zeit. Deswegen gab es ja die Idee aus der Bezirksvertretung, einen Nachtbürgermeister fürs Viertel zur stellen. Ich denke, es wäre gut, eine konkrete Ansprechperson für diese Themen zu haben, die für alle greifbar ist.
Lindh: Ich glaube, allein die Idee eines Nachtbürgermeisters wird es nicht lösen, auch wenn es sicher ein mögliches Element ist. Es geht aber letztlich um den Grundauftrag des Zusammenlebens. Wie schaffen wir es, die unterschiedlichen Interessen zusammenzubringen? Ich verstehe durchaus die verschiedenen Seiten. Da hilft nur Tacheles zu reden und sich an einen Tisch zu setzen. Man muss auch immer schauen, woher kommt das? Manche Menschen feiern ja nicht nur, sondern haben auch manifeste Drogen- und Alkoholprobleme. Ich finde, es gibt da nicht eine gute und eine schlechte Seite, der Auftrag ist es, zusammenzubringen und Wege zu finden, wie man die nächsten Jahrzehnte gut leben und arbeiten kann.
Wir als Interessengemeinschaften würden uns manchmal mehr Wertschätzung in der Politik und Verwaltung wünschen.
Liebert: Wuppertal hat ja eine große Tradition, wenn es um bürgerschaftliches Engagement geht. Viele Projekte würden ohne Vereine, Initiativen und Verbände in den Stadtteilen gar nicht funktionieren. Deshalb ist es richtig und wichtig, dieses Engagement zu würdigen. Wir wissen aber auf der anderen Seite, dass die Stadtverwaltung personelle Probleme hat und vieles nicht umgesetzt werden kann. Natürlich muss es am Ende eine Entscheidung geben, weil es verschiedene Meinungen gibt. Ich finde, wir sollten möglichst immer das direkte Gespräch suchen, in den sozialen Medien wird ja oft eine einzige Meinung gehyped.
Lindh: Das sind natürlich zwei Kernfragen der Gegenwart, die sich auch hier im Viertel und in ganz Wuppertal zeigen. Die Polarisierung in den sozialen Medien und die fehlende Resonanz auf Meldungen der Bürgerschaft. Das wirkt denke ich auch zusammen. Auf dem Ölbergfest hatte ich beispielsweise hochspannende politische Gespräche mit Menschen. Das war sehr direkt, ganz ohne die Unerbittlichkeit und Gnadenlosigkeit, die man in Social Media immer wieder sieht. Der entscheidende Punkt aus meiner Sicht ist, dass man sich überhaupt austauscht, auch andere Meinungen akzeptiert. Das hilft gegen die Frustration auf allen Seiten.
Beim Blick in die Zukunft: Was werden Sie am 15. Juni 2030 machen?
Liebert: Zum einen freue ich mich dann schon auf die Bundesgartenschau (lacht). Eventuell ist ja auch wieder Ölbergfest, ansonsten ist vielleicht noch eine spannendende Sitzungswoche im Bundestag, bevor die Sommerpause beginnt. Am Abend werde ich mit Sicherheit in meinem Garten die Pflanzen gießen, weil es aufgrund des Klimawandels immer wärmer wird.
Lindh: Ich hoffe sehr, dass ich das Privileg haben werde, immer noch beruflich in der Politik zu sein, weil ich das bei allen Fährnissen liebe zu machen. Wenn ich in Wuppertal sein sollte, sitze ich in einem der Cafés, gestatte mir einen Kakao und denke, meine Güte ist Wuppertal schön. Jede Minute für Wuppertal ist eine gut investierte Minute.
Vielen Dank für das Gespräch.
Foto: Süleyman Kayaalp