No future

Tätowierer Peter Karlsruhen mit Sonnenbrille Frontalporträt

Nur noch wenige Tätowierer verstehen sich als Kunsthandwerker. Viertel-Urgestein Peter Karlsruhen schon. Mit Punk und Rebellion habe die heutige Tattooszene aber nicht mehr viel am Hut. Eigentlich schade, oder?

Punk is dead – oder doch nicht? Wenn man Peter Karlsruhen, bunte Haare, bunte Haut, schwarzes Shirt, so zuhört, kommt man nicht umhin, der guten wilden Zeit ein Stück weit nachzutrauern. Damals, so Karlsruhen, hätten Tätowierung noch den rebellischen Geist einer Subkultur widergespiegelt. Allerdings nicht nur äußerlich. Die farbigen Tintenspuren zeigten den Spießern: Ich mache nicht mit. Ich mache mein eigenes Ding. Heute tauge das Tattoo nicht mehr, um sich von der uniformen Masse abzugrenzen. Vielmehr seien Tätowierungen selbst zu einem Massenphänomen geworden. Von der Ideologie dahinter ganz zu schweigen. „Die Exklusivität wurde bis zur Unkenntlichkeit vermarktet. Die Reibung ist weg“, so der Tätowierer, der mit seinem Laden Kraftwerk seit über 20 Jahren in der Luisenstraße eine feste Adresse für Tattooliebhaber ist.

„Wir sprechen hier über die älteste Kunst der Menschheit.“ 

Peter Karlsruhen

Masse statt Klasse
Inzwischen ist das Kraftwerk sogar der dienstälteste Tattooladen in Wuppertal. Inhaber Karlsruhen ist aber alles andere als von gestern: „Individualismus ist eine Lüge des Kapitalismus“, sagt er. „Das hat nichts mehr mit Individualität zu tun.“ Und das klingt dann doch wieder ein kleines bisschen nach Rebellion. Das Ich-mache-mein-Ding-Denken hat also schein­bar überlebt.

Alle fünf Monate reist Peter Karlsruhen nach Berlin, um dort seine Stammkundschaft im Red-Chapel-Tattoostudio zu versorgen. Das habe sich in den letzten zehn Jahren nicht verändert, sagt er. Alles andere aber schon. Der Tätowierer findet drastische Worte für den Wandel in der Szene, spricht sogar von der „Implosion des Tattoomarktes“. Die Begründung: „Es gibt immer mehr Tätowierer, aber nur wenige setzen auf künstlerische Qualität“, so der 58-Jährige. Mit möglichst wenig Aufwand viel Effekte erzielen, sei anscheinend das Credo vieler Newcomer. Mittlerweile gebe es sogar Franchiseunternehmen, die zum Beispiel Kurse anbieten, um beruflich in den Markt einzusteigen. Man könnte auch von der McDonaldisierung der Tattooszene sprechen. Die Jugend will er dafür aber nicht verantwortlich machen.

Tätowierer-Urgestein Peter Karlsruhen in seinem Studio Kraftwerk

„Es gibt sehr viele junge Talente.“ Die treffe er zum Beispiel auf sogenannten Tattoconventions, die mittlerweile selbst zu riesigen Marketingveranstaltungen gewor­den sind. Einige erfolgreiche Tätowierer treten dort gerne mal als Markenbotschafter auf. Seine Kritik – wenn man es überhaupt so nennen will – richtet sich nicht gegen den Nachwuchs. Es geht Karlsruhen schlicht und einfach um den Erhalt einer über Jahrhunderte entwickelten Kunstform. „Wir sprechen hier über die älteste Kunst der Menschheit.“ Und das ist nicht übertrieben. Schon Gletschermumie Ötzi war tätowiert, allerdings nicht aus ästhetischen, sondern aus medizinischen Gründen, wie man vermutet.

Für die Seefahrer im 16. Und 17. Jahrhundert waren die von ihren Reisen mitgebrachten Tätowierungen noch Beweise ihrer Abenteuerlust. Und auch Zeugnis einer Verbindung zu exotischen Kulturen. „In Europa waren Tätowierungen lange Zeit von der Katholischen Kirche verboten“, so Peter Karlsruhen. Irgendwann dann landeten die bunten Zeichnungen auf der Haut rebellischer Punks in Europa, die sich auch durch ihr Äußeres von der kapitalistischen Welt abgrenzen wollten. Die Betonung liegt hierbei auf „auch“, denn wie Karlsruhen sagt, „ging es nie um das Styling, sondern immer um die innere Haltung.“ Genau die scheint sich der Täto­wierer über die ganze Zeit erhalten zu haben. Das Handwerk ist sein Leben, seine Identität, seine Vergangenheit – und Zukunft. Ein belangloses Gespräch mit Karls­ruhen über schwarze Linien und kontrastreiche Flächen scheint unmöglich. Immer geht es auch um das große Ganze. „Es hängt alles zusammen“, sagt er.

Zurück zum Handwerk. Das ideale Tattoo ist grob gesagt „möglichst groß, möglichst kontrastreich und möglichst einfach“, so Karlsruhen. Denn beim Tätowieren stelle die Haut die Regeln auf. Und die haben sich seit der ersten Tätowierung nicht geändert. Zu feine Linien, zu zarte Schattierungen oder kleinteilige Motive verschwimmen nach einigen Jahren zu einer undefinierten Masse. Diese Erkenntnis muss Karlsruhen hin und wieder neuen Kund:innen vermitteln, die ihm Fotos von eben solchen Motiven als Beweis für das Gegenteil präsentieren. „Meistens sind das dann ganz frische gestochene Arbeiten“, so der Tätowierer. Allzu oft passiere das aber nicht. Wer die dunkelrot und schwarz gehaltenen Räume des Kraftwerk betritt, um sich die Haut „färben“ zu lassen, gehört in den meisten Fällen zur Stammkundschaft und weiß, was geht und was nicht.

Für immer Punk
Punk ist tot und die No-future-Attitüde gleich mit. Eigentlich ein Wunder, wenn man sich die aktuelle Weltkrisenlage so anschaut. Sei es drum. Dann kann man der Zukunft auch gelassen entgegensehen. „Es ist ein Privileg, dass ich jeden Tag schöne Tätowierungen machen darf und davon leben kann“, so Karlsruhen. „Das möchte ich so lange wie möglich weiter machen.“

Text: Marc Freudenhammer
Fotos: Süleyman Kayaalp

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