Die Bibliothek als universelle Sharing-Plattform – so könnte man die Ziele
von Direktorin Cordula Gladrow zusammenfassen. Das frisch sanierte Haus
in der Kolpingstraße erfindet sich neu. Ohne dabei seinen Ursprung zu
vernachlässigen.
Wie frisch aus dem Ei gepellt sieht es aus. Die schmucke Sandsteinfassade erstrahlt in neuem Glanz. Sämtliche Fenster wurden ausgetauscht, Schadstoffe beseitigt. Das zumindest zur Hälfte denkmalgeschützte Gebäude der Wuppertaler Zentralbibliothek wurde in den vergangenen Jahren an allen Ecken und Enden fit gemacht für die Zukunft. Aber wie sieht sie eigentlich aus, diese Zukunft? Braucht es in Zeiten von Netflix, E-Books, Facebook und Co. überhaupt einen solchen Ort wie eine Bibliothek? Ist das gesamte Konzept vom Archivieren und Ausleihen gedruckter Bücher nicht längst überholt? Die Antwort ist ein klares: Jein. Die Bibliothek als solches ist heute viel mehr als ein Ort, an dem man einfach nur Bücher ausleiht. Obwohl genau das natürlich immer noch die Kernkompetenz ist. Warum auch nicht? „Sharing is caring“, sagt Direktorin Cordula Gladrow zu Beginn unseres Treffens in der Kolpingstraße 8. „Ausleihen statt Kaufen ist ja seit jeher das Grundkonzept einer Bibliothek.“ Für die Zukunft reiche es gewiss nicht aus, sich darauf auszuruhen, ist sich Gladrow sicher.
Gaming und andere Events
Seit Jahren schon bemühen sich Bibliotheken rund um den Globus um ein neues Image. Weg vom verstaubten Archiv und in Richtung Treffpunkt mit abwechslungsreichem Freizeitangebot. Die Bibliothek als sogenannter „Dritter Ort“. Dieser Begriff stammt aus der Soziologie und bezeichnet Orte abseits der eigenen Wohnung und vom Arbeitsplatz. Cordula Gladrow ist eine Befürworterin dieser Entwicklung, sieht aber auch die Gefahren. So dürfe die Bibliothek nicht in die Beliebigkeit abdriften. „Sonst könnte man ja gleich ins Café gehen“, sagt sie. Die Zentralbibliothek tut in dieser Richtung einiges, um den Aufenthalt so spannend wie möglich zu gestalten. Neben den ständig wechselnden Ausstellungen gibt es beispielsweise einen Bücherflohmarkt, Gaming-Events mit VR-Spielen, Brettspiele-Aktionen, Manga-Zeichenkurse oder den ausleihbaren Erinnerungskoffer für Demenzkranke sowie Themenkoffer für Schulen und Kitas. Am Valentinstag gab es in der Zentralbibliothek ein „Blind Date mit einem Buch“. Dabei konnte man sich liebevoll verpackte Bücher ausleihen, ohne zu wissen, was einen zu Hause erwartet. Nur ein kleiner Hinweis auf das Genre war von außen zu sehen.
Für die Ewigkeit
Der „Verwandlung“ des Hauses hin zum Begegnungsort mit Wohlfühlcharakter sind natürlich auch Grenzen gesetzt. Zum Beispiel, was das Raumangebot angeht: „Wir haben hier ein fest im Gebäude verbautes Regalsystem. Das ganze Haus wurde quasi drum herum gebaut“, erklärt Gladrow. Das könne man nicht einfach austauschen oder verändern. Wie ein Skelett zieht sich das stählerne Konstrukt über mehrere Etagen im hinteren Bereich der Bibliothek. Die starren Regale machen eine Umgestaltung der Räume unmöglich. Ein Konstrukt für die Ewigkeit. In anderen Bereichen fallen die Umgestaltung und Ausweitung des Angebots leichter. An erster Stelle: der digitale Raum.
Mit der Online-Plattform filmfriend.de hat die Bibliothek beispielweise einen echten Streamingdienst im Repertoire. Hier können registrierte Bibliotheksnutzer über den Browser auf eine Auswahl von rund 1.500 Filmen, Dokumentationen und andere Videos zugreifen. „Das Angebot ist seit etwa einem Jahr online“, sagt Gladrow. Dem Grundgedanken der Bibliothek widerspreche das ganz sicher nicht. „Wir wollen Menschen mit Inhalten zusammenbringen.“ Sei es im echten Leben oder eben digital. Ganz besonders analog geht es übrigens im Keller der Zentralbibliothek zu. Dort befindet sich ein sogenanntes Compactus-Archivsystem mit verschiebbaren Regalen. 29 auf der linken und 28 auf der rechten Seite. Ein elektrischer Motor hilft beim Verschieben der wuchtigen Metallregale. Der ganze Raum wirkt wie eine Hommage an die 50er oder 60er Jahre. Im Innern des grau in grau gehaltenen Regalsystems hat der Bergische Geschichtsverein seine Schätze untergebracht. Im Mittelgang stehen alte Schubladenschränke aus Holz, die bei Retro-Liebhabern wahrscheinlich Verzückung auslösen würden.
Cordula Gladrow öffnet eine der Schubladen und zieht eine der vielen Tausend ausgefüllten Karteikärtchen heraus: „Früher musste man als Bibliothekar noch Schönschrift können“, sagt sie und zeigt auf die sorgfältig ausgefüllte Karte in ihrer Hand. Diese Zeiten sind längst vorbei. Heute müsse man in erster Linie Generalist sein, Projekte leiten und vor allem mit Menschen umgehen können. Um die gehe es schließlich – und nicht nur um Bücher.
Artikel: Marc Freudenhammer
Foto: Süleyman Kayaalp