Heilige Corona

Die Künstlerin Yvette Endrijautzki ist in ihrem Leben viel herum­gekommen, hat die Welt kennen­gelernt – und aus der Ferne auch ihre Heimat. Vor drei Jahren ist sie durch einen falschen Buchstaben wieder in Wuppertal gelandet.
Und sie ist geblieben.

Eine weiße Frauenfigur mit Geweih, Heiligenschein und einer Eule vor der vernarbten Brust. Sie ist eingebettet in ein Gestrüpp aus Pflanzen, Tieren, Pilzen und diversen anderen Dingen, die nicht immer genau zu identifizieren sind. „St. Corona“, so der Titel der mannshohen Skulptur. Benannt nach der frühchristlichen Märtyrerin, die der Legende nach von einem ägyptischen Statthalter grausam hingerichtet wurde. Das Kunstwerk ist aktuell noch in Arbeit, so steht es auf dem Ausstellungschild, das an der Wand der Galerie Nautilus Studio hängt. Der kleine, vielleicht 15 Quadratmeter große Raum in der Osterfelder Straße ist die Wirkungsstätte der Künstlerin Yvette Endrijautzki, die sich in ihren pop-surrealistischen Arbeiten vorzugsweise mit dem Mystischen auseinandersetzt und die Beziehung zwischen Mensch und Natur unter die Lupe nimmt. Ihre Skulpturen fertigt sie aus Fundstücken, die auf unterschiedlichsten Wegen zu ihr kommen. Daraus macht die Künstlerin etwas Neues: „Ich will verwandeln, was schon da ist.“ 

„Das Luisenviertel ist schon ziemlich international. Das gefällt mir.“

Yvette Endrijautzki

„Das einzig Beständige ist die Veränderung“, sagt Endrijautzki, die bereits im zarten Alter von 22 Jahren ihre Sachen gepackt und sich mit einem Bus in Richtung Nordafrika auf den Weg gemacht hat. Später ist sie weitergezogen. Tel Aviv, Amsterdam, Frankreich, Belgien, Schweiz, Seattle. Und das sind nur einige der Stationen, die sie bereist hat. Letztere war für die heute 46-Jährige lange Zeit eine zweite Heimat. In Seattle, genauer gesagt im Stadtteil Georgetown, gründete sie 2009 die Galerie „The Nautilus Studio“. Die Rückkehr nach Wuppertal war eher unfreiwillig und wahrscheinlich dem „Einfluss des Universums“ geschuldet, so die Künstlerin.

Back to the roots
Yvette Endrijautzki ist eine kleine, aber starke Frau mit einem freundlichen Gesicht und einer offenen Ausstrahlung. Wenn man sich mit ihr unterhält, hat man den Eindruck, als gebe es kein Thema, das sie nicht brennend interessiert. Besonders historische Personen und Ereignisse haben es ihr angetan. Während ihrer Zeit in Tel Aviv lernte sie ihre Geburtsstadt Wuppertal von einer bis dahin unbekannten Seite kennen. Nicht unbedingt eine erfreuliche Entdeckung. „Ich habe mich dort viel mit der Nazizeit auseinandergesetzt und bin bei meinen Recherchen immer wieder über Wuppertal gestolpert. Da hatte ich nicht mit gerechnet“, sagt Endrijautzki. So habe sie beispielsweise erfahren, dass in Elberfeld das erste NSDAP-Büro eröffnet wurde. Die Stadt war lange Zeit einer der wichtigsten Knotenpunkte der Nationalsozialisten. Einer der Gründe: „Der Wuppertaler Bildhauer Arno Breker gehörte zu Hitlers Lieblingskünstlern.“  

Bei ihren Reisen in die Welt hat Yvette Endrijautzki wertvolle Erfahrungen gesammelt und vor allem neue Perspektiven kennengelernt. Sie hat mit den indigenen Stämmen in Amerika gelebt, hat Schamanen kennengelernt, ist mit den Tuareg unterwegs gewesen. All dies habe ihre Einstellung zum Menschsein verändert, Türen geöffnet in eine Welt, die jenseits des Sichtbaren ist. „Ich bin ein spiritueller Mensch, aber nicht religiös“, sagt die Künstlerin über sich selbst. 

Der falsche Buchstabe
Dass Endrijautzki heute wieder in Wuppertal lebt, daran ist ein buchstäblich schicksalhafter Fehler der Behörden schuld. In ihrem Reisepass hatte sich ein „s“ anstelle des „z“ in ihrem Nachnamen eingeschlichen, was eine verheerende und langwierige Auseinandersetzung mit diversen Ämtern nach sich zog. Aus einem als Abstecher geplanten Aufenthalt in ihrer alten Heimat an der Wupper wurde ein büro­kratisches Tauziehen über vier Monate. Schicksal? „In dieser Zeit hat sich eine neue Begeisterung für die Stadt entwickelt. Ich habe viele Freunde gefunden“, sagt Yvette Endrijautzki heute. Insbesondere das Luisenviertel sei ihr inzwischen sehr ans Herz gewachsen. „Wenn ich den Menschen lausche, die an der Galerie vorbeigehen, höre ich viele verschiedene Sprachen. Französisch, Italienisch, Arabisch – das Luisenviertel ist schon ziemlich international. Das gefällt mir.“ 

Mit ihrem Pille-Palle-Tarotkarten-Set hat sie beide Seiten ihres Lebens – die Begeisterung für das Mystische und ihre Beziehung zur neuen, alten Heimat – in einem Projekt verewigt. Auf den kunstvoll gestalteten Karten finden sich prominente Personen aus der Geschichte des Bergischen Landes. So zum Beispiel Friedrich Engels, der auf der Magier-Karte zu sehen ist, oder die Zionitin Anna von Büchel, die als Prophetin dargestellt ist. Das Besondere an dem Tarotkarten-Set: Mithilfe einer Smartphone-App können die Karten zum Leben erweckt werden. Via Virtual Reality sieht man beispielsweise den Bergischen Löwen, wie er sich über die Karte bewegt. Außerdem erfährt man mehr über die Hintergründe der abgebildeten Personen und Symbole. Das Ganze ist mit musikalischen Stücken untermalt, die von dem Wuppertaler Martin Erbler produziert wurden. Die dreidimensionalen Animationen stammen aus dem Hause Exit3d, einem 3D-Studio aus Solingen. Finanziert hat Yvette Endrijautzki das Projekt mit Mitteln aus dem NRW-Digitalisierungsfonds.

Ihr nächstes Projekt ist eine Gruppenausstellung zu Ehren der in Vergessenheit geratenen und 1989 gestorbenen Wuppertaler Künstlerin und Illustratorin Sulamith Wülfing, die in den 70er Jahren unter anderem ein Plattencover für Fleetwood Mac gestaltete und mit der Band The Who in Kontakt war. „Sie war eine der ersten, die sich mit fantastischen Welten beschäftigte“, sagt Endrijautzki. „Hierzulande ist Wülfing trotzdem ziemlich unbekannt, in den USA sieht das anders aus.“ Die Ausstellung in den Solinger Güterhallen läuft noch bis zum 15. Oktober. Interessierte, die sich mit der Kunst von Yvette Endrijautzki auseinandersetzen wollen, können das zum Beispiel im Rahmen der WOGA am 6. und 7. November machen.

Artikel: Marc Freudenhammer
Foto: Süleyman Kayaalp