Platz an der Sonne


Wer in einer WG lebt, muss sich nicht verabreden, um zu quatschen. Und das ist nur einer von vielen Vorzügen, die Jule, Lars, Hannes und Hanna einfallen.

Vor den Fenstern rauscht die Stadt vorbei. Im Innern geht es eher gemächlich zu. Es ist Sonntag, 14.30 Uhr. Das große Wohnzimmer der Wohngemeinschaft in der zweiten Etage füllt sich nach und nach mit den Bewohnern und Bewohnerinnen. Vor dem gemütlich wirkenden Cordsofa führt eine kleine, mit weichem Plüschstoff bezogene Treppe nach oben. Dackel Pluto, schwarzbraunes Fell, ungarische Wurzeln, ignoriert die für ihn dort platzierte Aufstiegshilfe und springt lieber mit einem Satz auf die Sitzfläche, um es sich anschließend auf dem Schoß von Luka gemütlich zu machen. „Mit k, nicht mit c“, wie die 26-jährige direkt klarstellt. Sie ist nicht Teil der WG am Robert-Daum-Platz. Jedenfalls noch nicht. Der Umzug von der WG in der vierten in die zweite Etage ist bereits ausgemachte Sache. Vorher wolle man noch das neue Gemeinschaftszimmer herrichten, das schon bald die aktuelle Wohnfläche von 130 Quadratmetern vergrößern soll, sagt Hannes (26), der keinesfalls Hansi genannt werden will. „Wir müssen da noch ordentlich Arbeit reinstecken und den Durchbruch machen.“

Mittlerweile haben sich alle im größten Raum der Altbauwohnung eingefunden. Es gibt reichlich Licht, dank der üppigen Anzahl an Fenstern. Inzwischen hat sich noch ein weiterer Nichtbewohner namens Lars (35) dazugesellt. Insgesamt sitzen nun sechs junge Menschen und Dackelrüde Pluto (4) im Zimmer verteilt. Die Hundeeltern Lars (28) und Jule (30) haben auf dem Kuschelsofa Platz genommen. Wenn die Vergrößerung der WG-Räume vollzogen ist, soll hier ihr gemeinsames Zimmer eingerichtet werden. Zurzeit befindet sich ihr Rückzugsort direkt nebenan. Wie in fast allem Zimmern wurde auch hier eine Zwischenebene eingezogen, die von den meisten als Schlafplatz genutzt wird. Hier steht das Bett allerdings auf dem Holzparkettboden, davor eine weitere Plüschtreppe. „Wir waren erst in anderen WGs und haben dann in einer eigenen 90-Quadratmeter-Wohnung gewohnt“, erzählt Jule. „Aber das WG-Leben ist einfach schöner.“ Zum Beispiel müsse man nicht dauernd Termine ausmachen, um sich mit anderen Menschen zu verabreden. „Das ist total aufwendig und zeitraubend“, findet Jule. Die anderen Mitbewohner:innen sehen das auch so. Das WG-Leben vereinfache das Thema deutlich. Einen Termin machen, nur um kurz mit jemand zu quatschen, das fällt hier weg.

Das Kollektiv

Mitten im Zimmer sitzt Hanna – ohne h – im Schneidersitz auf dem Boden. Die 25-jährige ist der Grund dafür, dass wir heute hier sind. In kürzester Zeit hat sie dieses Treffen ermöglicht und dafür gesorgt, dass alle WG-Mitglieder dabei sind. In den letzten Jahren sei sie bestimmt fünfmal umgezogen, zuletzt aus einer Neuner-WG. „Das war schrecklich“, sagt Hanna. Hier scheinen nun alle am richtigen Platz für ihre jetzige Situation angekommen zu sein. Nicht nur aus praktischen Gründen: „Wir sind keine reine Zweckgemeinschaft, sondern machen auch viel zusammen“, erklärt Jule. Dazu gehören auch ausgedehnte Abende mit elektro­nischer Musik, denn drei der vier Bewohner:innen drehen in ihrer Freizeit gerne die digitalen Plattenteller. Als Kollektiv mit dem Namen „Gratwanderung“ veranstalten Hannes (ein­worteinmann), Lars (Astell) und Jule (Teil vom Duo Scheffka) gemeinsam mit anderen DJs regelmäßig eigene Partys im Stadtgebiet und darüber hinaus. Hanna ist die Einzige im Bunde, die zwar regelmäßig mitfeiert, ansonsten aber wenig mit fetten Bässen und treibenden Beats anfangen kann. „Ich höre eigentlich eher so melancholische Sachen, nix zum Tanzen.“ Wie zum Beweis für diese Aussage lehnt in Hannas Zimmer eine schwarze Bassgitarre an der Wand. „Ich versuche gerade, mir das Spielen beizubringen“, sagt sie. Das Ziel sei es, als Bassistin in einer befreundeten Band zu spielen.

WG-Mitglied Hanna hat sich vorgenommen, E-Bass zu lernen.

Kunst im Flur

Sämtliche Räume der Wohngemeinschaft wurden beim Einzug im Januar frisch auf Vordermann gebracht. Mehrere Monate habe man sich dafür Zeit genommen. „Wir haben überall Rauhfasertapeten von den Wänden gerissen, gespachtelt, gestrichen, Böden verlegt. Und die Küche haben wir komplett neu gemacht“, sagt Hannes. Die rohe Wand im langen Flur wurde von dem Wuppertaler Künstler Le Dudds mit seinen typischen kaligrafischen Zeichen bemalt. „Wir haben dazu ein kleines Event veranstaltet“, sagt Lars, der als einziger einem handwerklichen Beruf nachgeht. „Aktuell habe ich eine kleine Werkstatt auf dem Ölberg und mache eine Tischlerausbildung“, so der junge Mann. Seine Freundin Jule arbeitet freiberuflich als Physiotherapeutin. Der Rest der WG studiert. Einige in Wuppertal, einige außerhalb. Und natürlich gehören auch die obligatorischen Studierenden­jobs in der Wuppertaler Gastronomie dazu.

„Er reagiert vor allem auf sehr langgezogene Vokale, also rufen immer alle ‚Pluuutoooo, hiiiier hin‘.“

Hannes

In jeder Ecke der WG finden sich kleine, mittelgroße und auch ein paar riesengroße Pflanzen, die den Lebensraum der WG mit grünen Farbtupfern auflockern. „Die meis­ten davon hat Jule mitgebracht“, sagt Hannes. Das große beleuchtete Terrarium im langgezogenen Flur wurde ebenfalls als Heimat für diverse Pflanzen auserkoren. Ein Tier sucht man darin jedoch vergebens.

Auch WG-Hund Pluto hat sich gut eingelebt.

Die aktuellen Bewohner:innen sind bei Weitem nicht die erste Wohngemeinschaft im Gebäude. Das gesamte Haus besteht schon seit Jahrzehnten aus dieser Art des gemeinschaftlichen Zusammenlebens. Und alle scheinen damit fein zu sein. Auch der Hausmeister. Mit dem habe man bereits mehrfach netten Kontakt gehabt. Überhaupt gebe es absolut keinen Stress mit der Nachbarschaft, so Lars. Für die Kommunikation untereinander wurden kurzerhand WhatsApp-Gruppen eingerichtet. „Es gibt eine für uns, eine für das ganze Haus und eine für uns und die WG aus der vierten Etage.“

Im nächsten Raum zeigt Lars uns stolz die neue Küche. „Wir haben bei der Renovierung die Rechnung der alten Einrichtung von 1991 gefunden“, sagt Lars. Eine lange und mit Sicherheit ereignisreiche Zeit für eine Küche, die nun ein Ende gefunden hat. Die eingezogene Zwischenebene wurde hingegen beibehalten. „Wir wissen aber noch nicht so richtig, wie wir den Platz nutzen sollen, also sammelt sich da jede Menge Zeug.“ Wieder zurück im Flur wird uns der Gemeinschaftsbalkon präsentiert. Auch hier: jede Menge grün. Und ein über die gesamte Höhe gespanntes Netz, das einerseits vor Tauben schützen soll und andererseits die Flucht ehemaliger Hauskatzen verhindern sollte, wie Lars vermutet.

Auf der Suche

Während wir die Wohnung erkunden, wird auch Pluto aktiv. Er folgt uns und holt sich währenddessen kurze Streichel­einheiten ab. Der Name des tierischen Mitbewohners gehört übrigens zu den meistgerufenen in den Räumen der Gemeinschaft WG. Hannes: „Er reagiert vor allem auf sehr langgezogene Vokale, also rufen immer alle ‚Pluuutoooo, hiiiier hin‘.“ Für gewöhnlich verbringe der Dackel seine Tage mit der Suche nach dem besten Sonnenplatz in der Wohnung und wandere dabei gerne von Zimmer zu Zimmer. Angeblich kann Pluto auch mal frech werden, wir merken davon aber nichts. Vielleicht hat er sich inzwischen auch an die harmonische Stimmung in der WG angepasst.

Text: Marc Freudenhammer
Fotos: Süleyman Kayaalp

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