Ich bin nicht wütend

Die Bilder des Wuppertaler Künstlers Maurycy Lozinski sind expressiv und leidenschaftlich. Und zeichnen sich vor allem durch eines aus: Sie provozieren Reaktionen.

Es ist ein klarer und kühler Morgen, als wir in dem Atelier des Wuppertaler Malers Maurycy Lozinski eintreffen. Durch eine auffällige grüne Tür, die teilweise mit Graffiti bedeckt ist, gelangen wir in einen engen Tunnel, der uns im Hinterhof wieder ausspuckt. Das Atelier selbst teilt sich der Maler, den alle nur Maury nennen, mit zwei anderen Künstlern. Im hinteren Bereich werden wir von einem bunten Farbenmeer empfangen. Der Boden, die spärliche Ausstattung – einfach alles ist von unendlich vielen kleinen und größeren Farbspritzern und Lackresten übersät. Die Wände erinnern an eine riesige Farbcollage. Einen freien Platz sucht man vergeblich. Jede Stelle ist mit Skizzen, Fotos, Notizen, Fundstücken und kleinen Bildern verkleidet. Im Hintergrund läuft leise „A Satisfied Mind“ von Jonny Cash.

Leben mit Hans

Im Alter von neun Jahren war der gebürtige Pole nach Wuppertal gekommen. In den Neunzigern fing er an zu malen. Und hörte nicht mehr auf. „Ich habe damals eine Ausstellung mit Werken der großen Surrealisten in Düsseldorf besucht. Die Bilder haben mich total umgehauen. Noch am selben Tag habe ich mir Leinwand, Pinsel und Ölfarbe gekauft und in meinem Wohnzimmer losgelegt.“ Seit 2004 tut er das in seinem Atelier in der Nützenberger Straße. Insgesamt neun Jahre lang teilte er sich den Raum im Hinterhaus mit dem Schriftenmacher, Musiker und Daxophon-Erfinder Hans Reichel. Ihre Freundschaft war intensiv: „Wir haben hier wie ein altes Ehepaar zusammen gearbeitet. Das Atelier haben wir immer gemeinsam verlassen. Hans war so etwas wie ein Mentor für mich und hat mich stark beeinflusst. Auf einer menschlichen Ebene.“ Die gemeinsame Ausstellung im September 2013 in der Stadtsparkasse Wuppertal hatte Hans Reichel geplant, aber nicht mehr miterlebt. Im Herbst 2011 starb er im Alter von 62 Jahren.

Im Atelier von Maurycy finden sich genau zwei Kunstbücher, eines vom Großmeister Picasso und ein Sammelband mit Bildern polnischer Künstler, ein Geschenk seiner Eltern, sagt der 34-Jährige. Inspiration? Eher nicht. „Ich bin gerne Pole, aber für meine Malerei ist das nicht relevant. Meine Wurzeln trage ich in mir, aber meine Arbeiten beeinflussen sie nicht direkt.“

„Ich bin Spaziergänger und erledige eigentlich alles zu Fuß. Ich genieße das.

Die Bildwelt des Maurycy Lozinski besteht oberflächlich aus schemenhaften Gestalten, entstellten Gesichtern, Körpern und kargen Räumen. Das Individuum in der Isolation. Mit expressiven Malstrichen, Kleksen und unzähligen Farbschichten aus Lack und Öl erweckt er seine Leinwände zum Leben. „Ich male ja keine echten Menschen, keine Porträts. Auch wenn das für manche Betrachter so rüberkommt“, erklärt er. Nicht die Abbildung der sichtbaren Welt interessiert ihn, er will Stimmungen auf die Leinwand bannen.

Wenn Form und Fläche langsam verschmel­zen findet Maurycy seine Konturen. Auf eini­gen Bildern hat man den Eindruck, durch eine Art Schablone in Form menschlich anmutender Umrisse zu schauen. Darunter die farbgewaltigen Ergüsse des Malers. „Ich gebe mich meiner Manie hin. Was ich male, sind selbst geschaffene Welten“, sagt er. Doch diese Manie, das Getriebene, das Entfesselte in seinen Bildern ist genau das, was sie aufblühen lässt. Seine vibrierenden Farb­schichten erzählen Geschichten, die den Betrachter berühren und letztlich mit gestellten Fragen alleine lassen. Ist das Wut? „Nein, absolut nicht. Wenn ich male, bin ich nicht wütend.“

Im Dezember vergangenen Jahres erschien seine Künstlerzeitung. Insgesamt 40 Seiten, gedruckt auf großformatigem Zeitungspapier. Finanziert hatte der Maler das Projekt mit dem Titel „This got to be banned“ über die Online-Crowdfunding-Plattform Indigogo. Das gedruckte Werk erblickte im Rahmen der Ausstellungsreihe „Polnisch Deutsche Freundschaft“ (PDF) das Licht der Welt. Innerhalb kurzer Zeit war die limitierte Auflage so gut wie ausverkauft. „Der Erfolg der Online-Sammelaktion hat mich schon ziem­lich überrascht“, so Maurycy.

Saufkumpanen & Konkubinen

Und was macht der Maler, wenn er mal nicht vor einer seiner Leinwände steht? „Ich bin Spaziergänger und erledige eigentlich alles zu Fuß. Ich genieße das“, sagt er. Außerdem fotografiert er gerne und oft, eigentlich ständig. Meistens Momentaufnahmen. Diese Bilder dienten jedoch nicht als Vorlagen oder Inspiration für seine Malerei, sondern verfolgen einen ganz eigenen Ansatz und besitzen eine Ästhetik, die unmittelbare, menschliche Nähe vermittelt. Seine Fotografie grenzt an Voyeurismus. Oft sind Freunde und Bekannte des Künstlers zu sehen – aber auch „Sauf­kumpanen, Konkubinen und Wegbegleiter. Ich fotografiere eigentlich jeden, der mich irgendwie fasziniert, beein­druckt oder mich ein Stück in meinem Leben begleitet“, so Maurycy. Seine Aufnahmen wurden bereits in mehreren Magazinen abgedruckt.

Eine Galerie, die ihn vertritt, hat der Maler bislang noch nicht: „Das hat sich bisher einfach nicht ergeben.“ Dieser Umstand hindert ihn allerdings nicht daran, seine Bilder weiter auszustellen. In der Zeit vom 4. September bis zum 6. Oktober kann man seine Werke in der KunstStation Vohwinkel erleben.