Man kann etwas tun

Porträt Hans-Willi Döpp von Amensty International

Amnesty International ist ein bekannter Player, wenn es um Menschenrechte geht. Die Nicht­regierungsorganisation ist weltweit aktiv – auch im Luisenviertel. Ein Treffen mit Amnesty-Urgestein Hans-Willi Döpp.

Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. So steht es in Artikel 1 der Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die 1948 von der UN-Vollversammlung verabschiedet wurde. Insgesamt finden sich in der Erklärung 30 Artikel. Darunter zum Beispiel der Anspruch auf Rechtsschutz, ein Verbot von Folter und auch das Recht auf Asyl. Die Menschenrechtserklärung wurde von 48 Staaten anerkannt, acht enthielten sich bei der Abstimmung. Trotzdem hat sie keine Rechtsverbindlichkeit. Umso wichtiger ist es, auf Verstöße aufmerksam zu machen. Diesem Job geht die Menschenrechtsorganisation Amnesty International seit 1961 nach. In Deutschland gibt es rund 30.000 Mitglieder, die in über 600 lokalen Gruppen und 43 Bezirken aktiv sind. Einen davon, den Bezirk Amnesty International Bergisches Land, findet man am Rande des Luisenviertels in der Obergrünewalder Straße.

Plakate Amnesty International
Überall in den Amnesty-Räumen findet man Spuren vergangener Aktionen.

Zu erkennen ist das Hauptquartier an einem von der B7 aus gut sichtbarem schwarz-gelben Plakat auf der Hauswand. Darauf sieht man eine in einem dunklen Raum eingesperrte Person, die einsam auf der linken Seite des Bildes an einer Wand kauert und von einem Lichtstrahl getroffen wird. Das grellgelbe Licht kommt aus einem Spalt auf der gegenüberliegenden Seite. Dort erkennt man eine Gruppe von Menschen, die sich von außen durch gegenseitige Unterstützung in die Höhe reckt, um einen Blick auf den eingesperrten Menschen werfen zu können, um Kontakt aufzunehmen. Die Aussage: Wir schauen hin, wir kümmern uns.

Schwarz und gelb sind auch die dominierenden Farben im Innern der Büroräume. Hier stapeln sich die Infomaterialien. Eine etwas chaotische Ansammlung von Broschüren, Flyern und Motiv-Postkarten zu diversen Themen, die von den ehrenamtlichen Mitarbeitenden auf Veranstaltungen verteilt werden. Die Wände sind mit diversen Überbleibseln von vergangenen Aktionen übersät. An einer Wand im Flur finden sich schwarze Pappfiguren mit Namen darauf. Und mittendrin steht ein Mann mit langem grauem Zottelbart. Sein Name ist Hans-Willi Döpp.

„Der Shitstorm ist eine Erfindung von Amnesty International.“

Hans-Willi Döpp

Überzeugungstäter
Der 72-jährige pensionierte Lehrer ist mit allen Wassern gewaschen, wenn es um Menschenrechte geht. Er kennt sich aus mit Gesetzen und mit den Fallstricken der Justiz. Insbesondere im Asylrecht hat er seine Berufung gefunden. Sein Engagement für Amnesty International kennt keine Landesgrenzen und er hat einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Wer Menschen in Not helfen will, muss wissen, welche Gesetze gelten und wie sie vor Gericht ausgelegt werden. Vieles davon ist Erfahrung. Und davon hat Döpp mehr als genug. Seit den frühen Achtzigerjahren engagiert er sich für Menschenrechte. Angefangen hat alles in einer Hochschulgruppe während des Studiums. Sein damalige Erkenntnis, die ihm bis heute am Herzen liegt: Man kann etwas tun. Man kann sich dem Unrecht entgegenstellen und etwas erreichen. Dafür hat er zahlreiche Belege in Form von persönlichen Geschichten. Man hat den Eindruck: Döpp vergisst nichts. Keine Namen, keine Daten, keine Ungerechtigkeiten.

Aktionsflyer und Plakate von Amnesty International Bergisch Land
Überbleibsel vergangener Aktionen und Kampagnen.

Als junger Mensch hat er in Bonn auf Lehramt studiert. Im Anschluss ist er wieder in seine Heimat an der Wupper gezogen. Er erinnert sich noch gut an seine erste Aktion als Menschenrechtler: „Wirklich aktiv bin ich geworden, als die indische Premierministerin Indira Ghandi 1984 ermordet wurde.“ Der Täter war ihr Leibwächter und ein Angehöriger der Sikh-Glaubensgemeinschaft. Der Vorfall zog in Indien eine beispiellose Hetzjagd auf Sikh-Anhänger nach sich. Mindestens 5.000 Menschen verloren dabei ihr Leben. In Deutschland sollten die Sikh abgeschoben werden. Eine offizielle Anordnung der NRW-Regierung. In der Sedanstraße war eine zentrale Sammelstelle für die Abschiebung, dort wurden alle indischen Sikhs aus NRW inhaftiert. „Die Abschiebung wäre ein sicheres Todesurteil für die Menschen gewesen“, erinnert sich Döpp.

Hans-Willi Döpp ist zusammen mit einer Kollegin zur Sammelstelle gefahren. Er erinnert sich, dass es ein Donnerstag oder ein Freitag gewesen sein muss. „Wir haben einfach geklingelt und wurden reingelassen“, so Döpp. Am Ende ist doch noch alles gut gegangen. Der Abschiebefehl wurde als gesetzeswidrig eingestuft und in NRW schließlich doch nicht umgesetzt. Im Anschluss an diese erste Aktion hat Döpp sich für die Beratung schulen lassen, um in diesem Bereich weiter tätig sein zu könne

„Wir sind hier in Wuppertal sehr gut aufgestellt, was die Menschenrechtsarbeit in Asylverfahren angeht.“ Im Gegensatz zum allgemeinen Diskurs sei die Asylgesetzgebung in den letzten Jahrzehnten immer wieder stückweise verschärft worden, sagt Döpp. Den Grundstein dafür legte nach seiner Ansicht eine Grundgesetzänderung 1993, die eine weitreichende Neuregelung des Asylverfahrensrechts ins Rollen brachte. Recht auf Asyl hatte danach nur noch, wer politisch verfolgt ist. Ganz besonders kritisch sieht Hans-Willi Döpp die gnadenlosen Fristen im Asylrecht „In Asylverfahren muss man heute innerhalb von zwei Wochen einen Widerspruch einreichen, in regulären Verwaltungsverfahren hat man drei Monate Zeit. Die Anerkennungszahlen sind durch diese Verschärfungen drastisch gesenkt worden. Das ist politisch gewollt“, ist sich der Menschenrechtler sicher.

Protest per Briefversand
Aber die Arbeit von Amnesty International wirkt. Mindestens in einem von drei Fällen könne man Erfolge vorweisen. Zum Beispiel Hafterleichterung, medizinische Betreuung oder sogar Aufhebung von Urteilen. Das Ziel bei Menschenrechtsverletzungen in Gefangenschaft sei immer ein faires Gerichtsverfahren mit Rechtsbeistand und Zeugen. In einigen Ländern der Welt ist das bei Weitem keine Selbstverständlichkeit. „Es ist schlimm, was weltweit passiert. Aber man kann durchaus etwas bewirken. Da kann man nichts machen – das ist einfach falsch“, so Hans-Willi Döpp.

Amnesty arbeite dabei immer exemplarisch. Zu verschiedenen Unrechtsgeschehen auf der Welt werden grundsätzlich Einzelpersonen oder kleinere Gruppen unterstützt. Ein Beispiel: Beim alljährlich am 10. Dezember stattfindenden Amnesty-Briefmarathon engagieren sich Hunderttausende für Menschen in Not. Das heißt: Briefe, E-Mails und Petitionen, in denen die Einhaltung der Menschenrechte gefordert wird. „Da geht es zum Beispiel um die Freilassung von gewaltlosen politischen Gefangenen“, so Döpp. Diese Vorgehensweise ist in Online-Netzwerken heute unter einem sehr eingängigen Begriff bekannt: „Der Shitstorm ist eine Erfindung von Amnesty International“, erklärt Döpp. Erfunden wurde er vom Gründer Peter Benenson, der die massenhafte Versendung von Briefen als wirkungsvolles Instrument im Kampf für Menschenrechte erkannte.

Die Idee dahinter: Wenn ein einzelner Brief bei den Verantwortlichen ankommt, wird dieser nicht viel bewirken. Wenn die Machthabenden aber hunderttausende Briefe aus aller Welt bekommen, kann das ein starkes Argument sein – gegen die Unterdrückung Andersdenkender, gegen unfaire Gerichtsverfahren. Auf der Website von Amnesty International kann man die Erfolge der vergangenen Jahre nachlesen.

„Das Mitfühlen und Selbsterleben bleibt haften.“

Hans-Willi Döpp
Aufsteller für eine Aktion, bei der auf vermisste und ermordete Regimegegner aufmerksam gemacht wurde.

Die nächste Generation
Zur Arbeit des Vereins gehört standardmäßig auch die Anwerbung neuer Mitstrei­ter. Je mehr Menschen sich engagieren, desto größer die Erfolgsaussichten. Rund 400 sind es aktuell in Wuppertal, schätzt Hans-Willi Döpp. Damit ist der Bezirk Amnesty International Bergisches Land der kleinste Bezirk im Umkreis. „Aber“, so Döpp, „wir sind einer der aktivsten Bezirke“. Um den Nachwuchs kümmert sich der Menschenrechtler seit über 40 Jahren auch persönlich. Zum Beispiel durch Veranstaltungen in Schulen. Zuletzt konnte über einen Schüler der Kontakt zur Privaten Herder-Schule hergestellt werden. Erste gemeinsame Aktionen sind bereits in Planung. Döpp schätzt, dass er allein durch diese proaktive Arbeit in Schulen „einige Tausend junge Menschen“ erreicht. Allesamt potenziell ehrenamtliche Mitstreiter für die Menschenrechte. Ja, man kann etwas machen. Aber wie erreicht man junge Menschen, die in ihrem Alltag kaum Berührungspunkte zu den Ungerechtigkeiten der Welt haben? Zum Beispiel mit einem Rollenspiel.

Döpp holt ein selbstgebasteltes Glücksrad aus der Ecke. „Wir drehen alle am Rad“, sagt er. Eines seiner Lieblingswerkzeuge, um für Ungerechtigkeiten zu sensibilisieren. Die Schüler werden per Raddrehung einer sozialen Gruppe zugeordnet. Grundbesitzer, Regierungsbeamte, Bauern und so weiter. Anschließend wird ein Kuchen aufgeteilt, den Döpp eigens für diesen Anlass kaufen lässt. Während die wenigen glücklichen Großgrundbesitzer aus dem vorangegangenen Spiel sich ein ordentliches Stück von dem frischen Kuchen gönnen dürfen, bekommen die Bauern nur ein paar Krümel. Ein Sinnbild für die ungerechte Verteilung auf der Welt. Im Gegensatz zum echten Leben bekommen am Ende natürlich alle Schüler eine gerechte „Kuchenbezahlung“ für die Teilnahme. „Das Mitfühlen und Selbsterleben bleibt haften“, so Döpp.

Hans-Willi Döpp wird für sein Engagement nicht selten kritisiert, angefeindet, bedroht und sogar tätlich angegangen. Das erlebe er regelmäßig. Was ist der Grund dafür? „Hilfsbereitschaft wird von manchen Menschen einfach nicht gerne gesehen“, vermutet der Menschenrechtler. Doch aus der Ruhe bringen lässt er sich dadurch nicht. Seine nächsten Aktivitäten hat Döpp bereits akribisch geplant. Der eigene Stand auf dem Luisenfest gehört selbstverständlich dazu.

Text: Marc Freudenhammer
Fotos: Süleman Kayaalp

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