Ende der Siebziger wollte die Stadt die Luisenstraße für den Durchgangsverkehr in die City umbauen. Eine kleine Gruppe von Anwohnern hat sich dem widersetzt – und das Viertel damit gerettet.
Wir schreiben das Jahr 1975. In der Zeitung wird berichtet, dass die Stadtverwaltung plant, die Luisenstraße als Sanierungsgebiet zu deklarieren. Ein Schock für die Anwohnerinnen und Anwohner. Der neue Bebauungsplan sieht vor, marode Gebäude abzureißen und das Viertel so dem Zeitgeist entsprechend zu „modernisieren“. Das Ganze folgte einer bundesweiten Strategie, um verwahrloste Stadtviertel wieder auf Vordermann zu bringen. Und das Luisenviertel war in den Augen zahlreicher Menschen ein Paradebeispiel für Verwahrlosung. Für viele Kreative und Alteingesessene war das Viertel trotzdem der perfekte Ort, um günstig zu wohnen, um sich kreativ zu betätigen, um ein ausgefülltes Leben zu führen. Dabei war das Luisenviertel – seinerzeit noch als Laurentiusviertel bekannt – längst nicht die Ausgehmeile, die es heute ist. Genau genommen gab es nur zwei Kneipen, Die goldene 118, das heutige Café du Congo, und das Fundus. Letztere war den Viertelbesuchern vor allem durch feuchtfröhliche Nächte – auch jenseits der damals vorgeschriebenen Sperrstunde – bekannt.
„Wir wollten verhindern, dass unser Viertel dem Kommerzgedanken geopfert wird.“
Klaus Bocken
Marlene Schmidt-Büchele, die damals in der Kunst- und Kulturszene rund um die Galerie 360 Grad aktiv war und heute in einem der damals geretteten Häuser wohnt, erinnert sich an die alten Zeiten. „Das Viertel war in einem schlechten Zustand, aber die Szene hat sich für den Erhalt stark gemacht.“
Die Luisenstraße und das gesamte Viertel war ein reinrassiges Wohngebiet mit einer Handvoll Geschäften, Galerien, Handwerksbetrieben – und jeder Menge Altbau-Charme. Doch dafür hatten die meisten Menschen in den Siebzigern kein Gefühl. Modern sollte es sein. Viel wichtiger war es, mit dem Auto von der Briller Straße in Richtung Innenstadt fahren zu können. Und so war in dem städtischen Plan der Abriss aller alten Gebäude auf der Ölbergseite vorgesehen, um Platz für eine Durchgangsstraße zu schaffen. Hier sollten Wohngebäude in Terrassenbauweise entstehen.
Widerstand
Die Stadtobersten hatten die Rechnung aber ohne die engagierten Anwohner gemacht. In kürzester Zeit formierte sich eine Bürgerinitiative, die fest entschlossen war, sich den Plänen entgegenzustellen. Ihr Ziel war es, die Luisenstraße als verkehrsberuhigte Zone festzuschreiben und die alten Gebäude zu erhalten. Unter den Aktiven fanden sich zum Beispiel der 2002 verstorbene Free-Jazz-Pionier Peter Kowald oder Anna Tykwer, die Mutter des bekannten Wuppertaler Filmemachers Tom Tykwer. Auch engagiert hat sich der damals 25-jährige Klaus Bocken. Gemeinsam mit Peter Kowald gelang es ihm, das Haus mit der Nummer 110 von der Stadt zurückzukaufen und in Eigenregie zu sanieren. Mit dieser Taktik retteten zahlreiche Mitglieder der Bürgerinitiative teils baufällig gewordene Wohnhäuser in der Luisenstraße und am Grünewalder Berg. „Wir wollten verhindern, dass unser Viertel dem Kommerzgedanken geopfert wird“, erinnert sich Bocken. „Der Altstadtcharakter sollte unbedingt erhalten werden.“
Auch die Presse interessierte sich für das Aufbegehren der Anwohner. Beide Tageszeitungen, Westdeutsche Zeitung und die Neue Rhein Zeitung, berichteten in regelmäßigen Abständen über die fortschreitenden Verhandlungen, die Besuche der Stadtpolitiker in den Hinterhöfen des Luisenviertels und die Stellungnahmen prominenter Wuppertaler. So mischte sich zum Beispiel Dr. Günter Aust, der damalige Direktor des Von der Heydt-Museums, in die Diskussion ein und stärkte der Bürgerinitiative den Rücken. Im Rahmen eines gemeinsamen Treffens hob er die Bedeutung des Luisenviertels in Sachen Denkmalschutz besonders hervor. Er bezeichnete den Wert des Elberfelder Viertels für den Denkmalschutz als „einmalig für das Rheinland“.
Rettung der Altstadt
Der Schlagabtausch mit dem Stadtrat und der Verwaltung zog sich über etwa ein bis zwei Jahre. Ein Streitpunkt bei der Diskussion waren jene Gebäude, die die Stadt bereits gekauft hatte. Diese waren in einem besonders verheerenden Zustand. In diversen Zeitungsartikeln konnte man verfolgen, wie Politiker verschiedener Parteien diese Nachlässigkeit verurteilten. „Die NRZ war damals Pro-Bürgerinitiative, die WZ hat eher neutral berichtet“, erinnert sich Klaus Bocken. Gleichzeitig begannen die Viertelbewohner mit gutem Beispiel voranzugehen und in Eigeninitiative Teilbereiche wieder herzurichten. Ihr Argument: Es geht, wenn man nur will. Den Erfolg der engagierten Viertelbewohner kann heute jeder und jede beim Schlendern durch die Luisenstraße selbst erleben. Ohne den beherzten Widerstand der Bürgerinitiative würde es hier wohl anders aussehen.
Text: Marc Freudenhammer
Fotos: Süleman Kayaalp