Gerard Antweiler sieht auf den ersten Blick, ob ein Anzug gut sitzt. Als Herrenschneider muss er das auch. Ein Einblick in die Maßabteilung der Stafford-Ireland-Schneiderei.
Was hat ein Herrenschneider in Dublin mit dem Luisenviertel zu tun? Die Verbindung ist direkter als man denkt. Der Familienbetrieb in der irischen Hauptstadt produziert nämlich nach den genauen Maßen, die Gerard Antweiler im Hinterzimmer seines Ladens in der Luisenstraße bei den Kunden abnimmt. Dabei zählt jeder Millimeter, denn oft sind es die kleinen Details, die letztlich entscheiden, wie perfekt ein Sakko, eine Weste oder eine Hose dem Träger passt und wie wohl er sich darin fühlt. Das Tragegefühl eines maßgeschneiderten Anzugs sei niemals mit jenen von der Stange vergleichbar, ist sich Antweiler sicher. Das ist natürlich auch etwas kostspieliger, aber doch nicht so viel teurer als viele denken.
Sein Know-how hat Antweiler gewissermaßen mit der irischen Muttermilch aufgesaugt. Schon der Opa war Maßschneider. Seine gesamte Kindheit verbrachte er inmitten von Stoffen und Nähutensilien. „Mich hat das Handwerk und alles, was damit zu tun hat, immer fasziniert“, sagt der 46-Jährige rückblickend. Die Knöpfe, die Stoffe und vor allem ein mit etlichen Pappschachteln gefüllter Holzschrank, all das habe ihn nachhaltig beeindruckt. Eine solche Sammlung von Schachteln findet sich heute auch in den Räumen des Ladengeschäfts Stafford Ireland der Familie Antweiler. Darin werden die Schnittmuster von Maßkunden aufbewahrt. Für den Fall, dass man ein neues Kleidungsstück bestellen möchte, ist es so nicht nötig, nochmals Maß zu nehmen.
„Jeder Mann sollte zumindest einen perfekt sitzenden Anzug haben.“
Gerard Antweiler
Ein langer Weg
Bei aller Begeisterung für das Metier schlug Gerard Antweiler zunächst einen anderen Weg ein. 17 Jahre lang ging er einem klassischen Büro-Job nach, der ihn immer weniger ausfüllte. Nebenbei verkauften er und seine Frau Marcella in Irland produzierte Pullover aus nachhaltiger Merinowolle auf Märkten in der Region. Dann, 2017, entschieden sie spontan, ein kleines Ladenlokal in der Friedrich-Ebert-Straße anzumieten und den Sprung in die Selbstständigkeit zu wagen. Mit Erfolg.
„Unsere Maßabteilung wird heute in enger Zusammenarbeit mit unserem Onkel William und unseren Cousins Brandon und Liam in Dublin geleitet“, erklärt Antweiler die Arbeitsweise von Stafford Ireland. Gegründet wurde die irische Schneiderei bereits Ende der 20er Jahre, heute wird sie bereits in der dritten Generation geführt.
Die Maßabteilung im Laden ist wie ein kleiner VIP-Bereich. Ein eigener Raum ganz hinten im Geschäft, der von der eigentlichen Verkaufsfläche durch eine dicke Kordel abgetrennt ist. Darin ein gemütliches Sofa mit Karobezug, ein Ohrensessel, ein alter Holztisch und zahlreiche Stoffmuster sowie einige Mustersakkos und -hosen. Hier kann Mann sich ganz wie ein Gentleman fühlen. „Das soll schon ein privater Bereich sein, in dem man sich wohlfühlt und in aller Ruhe an dem gewünschten Kleidungsstück arbeitet“, sagt Antweiler. In diesem Raum hat auch der Maßschneider die nötige Ruhe, um sich auf den Kunden einzulassen. Das ist zwingend notwendig, um ein optimales Ergebnis zu erzielen. Schließlich ist jeder Körper anders, bringt seine Eigenheiten mit, die es gegebenenfalls auszugleichen gilt. „Man muss immer sehr genau beobachten“, so der Schneider.
Und noch eines sollte man nicht unterschätzen: Eine Maßanfertigung braucht Zeit und Geduld. Für die Anfertigung sind zwei bis drei Termine für die sogenannte Pre Measure und den Final Cut nötig. Ein besonderes Augenmerk gilt natürlich der Auswahl des Stoffes. Dieser ist entscheidend, wenn es um den Wohlfühlfaktor des fertigen Anzugs geht und muss der geplanten Tragesituation entsprechen. Wie wichtig ist die Knitterfreiheit? Gibt es einen bestimmten Anlass oder handelt es sich um einen Alltagsanzug? Die Stilberatung gehört für Gerard Antweiler dazu. Bei Stafford Ireland kommen zudem ausschließlich Naturmaterialien zum Einsatz, viele der Tücher wurden in italienischen Manufakturen hergestellt. Es gibt aber auch zahlreiche Varianten des Original Harris Tweed aus handgewebter Schurwolle und Stoffe aus irischer Merinowolle.
Auch wenn ein Großteil des Kundenstamms eher zum älteren Semester gehört, freuen sich Gerard Antweiler und seine Frau Marcella immer besonders über jüngere Menschen, die sich für einen maßgeschneiderten Anzug interessieren. Das komme zwar nicht oft vor, aber in letzter Zeit doch häufiger. Kein Wunder in Zeiten, wo Nachhaltigkeit und Slow Fashion auf dem Vormarsch sind. Die eigenen Kinder, drei Jungen im Alter um die 20, zeigen hingegen eher wenig Interesse am Handwerk der Eltern. Wer weiß, vielleicht wird sich das ja auch noch ändern.
Text: Marc Freudenhammer
Fotos: Süleyman Kayaalp