Pow!

Im Comicladen Kult trifft Batman auf Marsupilami und Deadpool auf Mickey Mouse. Andreas Detering ist der Herr der farbenfrohen Bildbände, die immer wieder auch szenefremde Kunden in ihren Bann ziehen. Ein Besuch im Comic-Wunderland.

Fast wie auf einem Thron sitzt Andreas Detering hinter seinem kleinen Kassentresen. Von hier aus steht er jedem mit Rat und Tat zur Seite. Neben ihm türmen sich Tausende bunte Seiten voller fantastischer Geschichten. In einem Regal hinter der Kasse stehen eingeschweißte Superhelden aus dem Marvel-Universum und stoffgewordene Comiccharaktere aus anderen Welten. Vor ihm eine Auswahl an Neuzugängen, die er persönlich als präsentationswürdig einschätzt. An der Seite, etwas erhöht auf einem weiteren Stapel aus Papier steht ein alter Ventilator. An der Wand hängt eine große Avenger-Infinty-Plastikfaust, die nur darauf wartet, übergestülpt zu werden. Es ist verhältnismäßig eng in dem kleinen Ladengeschäft in der Luisenstraße. Will man zu zweit an der Kasse vorbei, muss man sich arrangieren. Stören tut das keinen der Kunden, die auch heute – einem laut Detering erfahrungsgemäß ruhigen Tag – kontinuierlich in den Laden kommen. Nur wenige davon sind Laufkundschaft, die meisten gehören zu den Stammkunden. Ohne die ginge es nicht, versichert der Inhaber.

Frisch gedruckt
Von der großen Regalwand im Eingangsbereich wird man von Helden und Antihelden mit kantigen Kiefern und von vollbusigen Damen in dynamischen Posen begrüßt. Jedes Cover verkörpert mit seiner Farbigkeit und seinem Zeichenstil eine eigene Welt mit eigenen Regeln und einer eigenen Geschichte. Eine Vielfalt, die einen auf den ersten Blick erschlägt – und doch irgendwie in ihren Bann zieht. Einige sind einfach nur witzig, manche sind Kunst. Alle sind irgendwie Kult – zumindest für die große Fangemeinde. Einst gehörte Detering selbst dazu.

Mitte der Neunziger war er Kunde in dem Laden, den er 2006 übernommen hat und seit dem im Alleingang führt. Über einen Nebenjob rutschte er langsam immer weiter in das Genre aus bunten Flächen und schwarzen Linien. Den Laden selbst gibt es bereits seit 1989, damals gab es auch noch Schallplatten und sogenannte Pen-and-Paper-Spiele zu kaufen. Heute gibt es in erster Linie Comics, nur noch vereinzelt findet man die ein oder andere Second-Hand-Platte. Die Zeiten haben sich geändert. Dem Reiz fantastischer Geschichten hat das allerdings keinen Abbruch getan. Doch das war auch mal anders.

„Um die Jahrtausendwende gab es einen großen Bruch, viele Läden mussten da zumachen. Seit sechs bis sieben Jahren geht es wieder bergauf“, so Detering. „Aber mit dem Hype davor hat das nichts mehr zu tun.“ Diverse Hollywood-Blockbuster und Serienadaptionen seien daran sicher nicht ganz unschuldig. Comichelden und deren Geschichten eigenen sich – nicht zuletzt aufgrund der heutigen technischen Möglichkeiten – bestens für die große Leinwand. Egal ob Spider-Man, Venom oder Flash, dank moderner Animationstechnik laufen sie visuell zu Höchstform auf. Der Charme des Gezeichneten und der Geruch von frisch bedrucktem Papier bleibt dabei freilich auf der Strecke. Das kann nur die Papiervariante liefern.

Kult aus Japan
An seinen allerersten Comic kann er sich nicht mehr erinnern, „wahrscheinlich ein Superman- oder Batman-Heft aus den Siebzigern“, so Detering. Dieses Genre fasziniere ihn noch heute. Mit Mangas kann der 52-Jährige dagegen nicht viel anfangen. Dennoch findet man entsprechende Hefte in den übervollen Regalen im Kult. Dem japanischen Genre ist eine eigene, quitschbunte Ecke gewidmet. Ungeübte Leser haben bei der Lektüre einiges zu beachten: „Mangas werden von hinten nach vorne, von rechts nach links und von oben nach unten gelesen. Wenn man vorne aufschlägt, findet sich meistens ein Hinweis“, erklärt Detering. Und noch etwas ist anders. Die Mangakultur lebe wie kein anderes Comic-

Genre vom aktiven Mitmachen der Fan­gemeinde. Im Kult sollen die Kunden möglichst das gesamte Spektrum an Comics vorfinden. Und das ist eine echte Herausforderung. „Ich bemühe mich, dass ich jedes neue Heft mindestens einmal da habe“, sagt er. Auch finanziell ist das ein gewagtes Ziel. Die Crux an der Sache: Im Gegensatz zum Kiosk an der Ecke muss er alle Exemplare selbst ankaufen. Nur wenige Verlage bieten überhaupt eine Rücknahme an. Und wenn, dann muss man Verluste in Kauf nehmen. Aus diesem Grund wächst Andreas Deiterings Sammlung unaufhaltsam weiter. Superheldentürsteher Eine junge Frau mit bunten Schnürsenkeln kommt in den Laden und geht zielstrebig zur Kasse: „Und? Ist er da?“, „Ja, ist angekommen“, „Super!“ Die vielleicht Zwanzigjährige bezahlt wortlos, nimmt ihre Ware in Empfang und verschwindet direkt wieder, vorbei an einem lebensgroßen Papp-Batman, der hinter der gläsernen Eingangstür Wache zu halten scheint. Was Detering nicht da hat, wird besorgt. Er weiß aber auch: In Zeiten von Online-Shopping ist es nicht selbstverständlich, dass Kunden für ihre Comics das Haus verlassen. In der Welt der langlebigen Superhelden gehört der Bruch mit der Vergangenheit mehr oder weniger unfreiwillig zum guten Ton. Wie soll man auch eine konsistente Geschichte erzählen, die über zwanzig, dreißig Jahre ohne Widersprüche auskommt? Langjährige Fans decken daher immer wieder Ungereimtheiten auf. Gelegenheitsleser bekommen davon meist nichts mit. „Diese Comics sind ja darauf ausgelegt, dass man sie vielleicht vier, fünf Jahre verfolgt, länger nicht“, sagt Detering, der wahrscheinlich viele dieser Fehler aufspüren könnte. Auch seine kleine Welt im Comicladen wird irgendwann einmal an den Punkt kommen, an dem es kein Zurück mehr gibt. Ein Nachfolger ist aktuell nicht in Sicht. Bis es so weit ist, wird Detering weiter hinter seinem Tresen sitzen und jeden, der Interesse hat, mit seinem umfangreichen Wissen über die Welt hinter den bunten Covern erhellen. Gut so.