Im diesem Jahr wurde der Verein Peter Kowald Gesellschaft / ort zum sechsten Mal in Folge mit dem Spielstättenprogrammpreis ausgezeichnet. Hier ist freie Kultur zu Hause. Hier lebt die Improvisation, die Experimentierfreude. Besonders wenn das ort workshop ensemble zur öffentlichen Probe einlädt.
Der Holzgeruch des alten Dielenbodens versprüht typische Altbauatmosphäre. Wir befinden uns im Herzen des Luisenviertels. An dem Ort, der einst von dem großen Free-Jazz-Pionier Peter Kowald gegründet wurde. Hier wird seitdem experimentiert, improvisiert, gesucht und gefunden. Die bunt zusammengewürfelten Holzstühle bieten Platz für ungefähr 70 Personen. An diesem Sonntagabend sind die Reihen mit etwa zwölf Zuschauern besetzt, doch das tut der Spielfreude des ort workshop ensembles keinen Abbruch.
Da es heute keinen Tresendienst gibt, fordert Wolfgang Schmidtke die Gäste vor der Probe auf, sich selbst zu bedienen. Das Getränkegeld wird einfach auf dem Tresen platziert. Man ist unter sich. Nach diesem kurzen Hinweis geht es direkt los. Eine Aufwärmphase gibt es nicht und auch keinen Eintritt. Das Licht bleibt an. Werkstatt-Feeling statt Show-Atmosphäre. Der experimentelle Sound der vier Musiker schallt von den rohen weißen Wänden des Raumes im Erdgeschoss zurück.
Zwei Generationen
Das ort workshop ensemble, bestehend aus Wolfgang Schmidtke, Maik Ollhoff, Roman Babik und Jan Kazda, spielt in klassischer Jazzbesetzung – Saxophon, Flügel, Bass und Schlagzeug. Gegründet wurde die Band im Herbst 2014. „Der erste öffentliche Auftritt war beim Viertelklang 2014“, erinnert sich Wolfgang Schmidtke. Davor habe man nur sporadisch und vereinzelt zusammengespielt. Mit Kazda und Schmidtke treffen zwei echte Urgesteine der Jazz-Szene auf ihre jüngeren Bandmitglieder, Babik und Ollhoff. „Wir arbeiten alle auf Augenhöhe. Unser Ziel ist es, gemeinsam eine musikalische Sprache zu finden. Der Ausgangspunkt dabei ist die freie Improvisation“, so Schmidtke. „Wichtig ist: Es gibt absolut kein Dogma. Wir wollen aktuelle Musik machen und nicht Peter Kowald nacheifern. Unser Zusammenschluss war auch ganz bewusst generationsübergreifend gewollt.“
„Ich glaube, was wir machen, ist auch eine Art Experiment“, so Maik Ollhoff. „Es gibt in Wuppertal nicht allzu viele Knotenpunkte wie zum Beispiel den ort, an denen professionelle Musiker aus verschiedenen Altersgruppen sich treffen und etwas Neues starten können.“ Der 33-Jährige Drummer hat in den vergangenen Jahren unter anderem die Wuppertaler Veranstaltungsreihe „Sommerloch“ ins Leben gerufen, und er ist auch in der elektronischen Musik zu Hause. Er sieht darin sogar eine mögliche Option für die Weiterentwicklung der neuen Band: „Ich kann mir durchaus vorstellen, dass ich demnächst mal etwas Elektronisches mit einbringe.“ Wolfgang Schmidtke sieht das genauso: „Ich freue mich schon darauf.“
Die Kommunikation des Ensembles während der Probe wirkt auf Außenstehende ein bisschen wie Telepathie. In Wirklichkeit geht es dabei vor allem um gegenseitiges Zuhören, um ein „bestimmtes Spielgefühl, eine Art Aura“, so Schmidtke. Das Spiel der Vier kann brutal laut werden – und im nächsten Moment so leise, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte. Jan Kazda kratzt zaghaft auf den Saiten seines E-Basses. Maik Ollhoff schabt rhythmisch mit den Drumsticks an den Rändern seiner Trommel. Spannung baut sich langsam auf. Roman Babik greift mit den Händen direkt in den Flügel und zupft an den Saiten. Schmidtke haucht behutsam in sein Saxophon – Gänse-haut. Musik in der Entstehungsphase. Man hat den Eindruck, an der Geburt von etwas Neuem teilzuhaben. Magie für die Ohren.
Und was haben die Musiker von der Probe unter Beobachtung? Warum dieses Format? „Es ist einfach ein Unterschied, ob man für sich spielt oder ob Zuhörer dabei sind. Das hat auf jeden Fall eine größere Ernsthaftigkeit, und man ist viel stärker fokussiert“, erklärt Maik Ollhoff. Die vom Publikum ausgehende Spannung sorge dafür, dass man das freie Spiel „auf den Punkt“ bringe, so Ollhoff weiter. Auch wenn dieser Druck auf-grund der lockeren Atmosphäre nicht mit dem bei einem klassischen Auftritt vergleichbar sei.
Harmonie und Chaos
Was bleibt, ist die Frage nach der musikalischen Richtung. Wolfgang Schmidtke: „Unsere Spielhaltung hat schon viel mit Jazz zu tun. Das ist aber nicht unser Ziel. Ich habe zum Beispiel unheimlich viel Spaß daran, mit meinem Saxophon, das ja eigentlich ein Soloinstrument ist, so etwas wie Bass zu spielen. Da sind wir dann wieder näher an der improvisierten Musik.“ Egal, in welche Richtung sich die Musik des ort workshop ensembles auch entwickelt, schon jetzt stehe fest, dass man in diesem Jahr etwas aufnehmen werde, verrät Schmidtke. Einen Live-Mitschnitt, der anschließend im Studio nachbearbeitet werde, das könne er sich gut vorstellen.
Die Probe-Sessions der vier Musiker sind alles in allem eine unglaublich ursprüngliche Erfahrung für Liebhaber von improvisierter, jazzlastiger Musik. Ganz besonders für jene, die sich auch für die Ecken und Kanten begeistern können, die dieses Format mit sich bringt. Es ist experimentell, chaotisch, leise, laut – aber immer ein harmonisches und lockeres Miteinander. Hier kann man Vollblutmusiker in ihrem natürlichen Lebensraum beobachten. Und vor allen Dingen hören.
ort workshop ensemble
Wolfgang Schmidtke (Saxophon)
Roman Babik (Piano)
Jan Kazda (E-Bass)
Maik Ollhoff (Drums)
Peter Kowald Gesellschaft / ort e. V.
Luisenstraße 116
42103 Wuppertal
info@kowald-ort.com
Die öffentliche Probe findet einmal im Monat statt.
Alle Termine auf kowald-ort.com