Kunst auf Zeit

Das Freie Kunst-Kollektiv Wuppertal will leere Räume mit Kunst und Kultur füllen. Die ersten Aktionen kamen gut an. Jetzt blicken die Initiatoren weiter nach vorne.

Die holzvertäfelten Wände sind entweder mit schwarzem Lack gestrichen oder leuchten Rot. Der ebenfalls rote Boden wurde wohl bewusst mit einem leicht zu reinigenden und strapazierfähigen Belag versehen. Durch die schlauchförmige Bauweise gelangt nur sehr wenig Tageslicht bis in die hinteren Räumlichkeiten. Einst blinkten hier die Spielautomaten, deren Abdrücke man an einigen Stellen noch immer auf dem Fußboden sehen kann. Man kann sich vorstellen, wie Menschen an diesem Ort ihre Münzen nach und nach in die Schlitze der Automaten gleiten ließen. Immer mit der Hoffnung, am Ende mit etwas mehr als vorher in den Taschen nach Hause zu gehen. Mit ziemlicher Sicherheit war das in den meisten Fällen nicht so. An diesem Freitag im September ist das nur noch eine vage Erinnerung. Und die ehemalige Spielhalle in der Sophienstraße eine Kunstausstellung auf Zeit.

Raummangel
Leerstehende Ladenlokale sind ein deprimierender Anblick. Sie erinnern an gescheiterte Geschäftsideen. Sie sind gezeichnet von dem, was sich andere Menschen ausgedacht haben und was nun zu einem Ende gekommen ist. Sie stehen unübersehbar für ein Problem, das alle deutschen Innenstädte eint. Selbst im sonst so belebten Luisenviertel gehören leere Schaufenster und verlassene Räume zum öffentlichen Leben dazu. Die Kunstschaffenden Christine Mühlberger und Le Dudds, der seinen bürgerlichen Namen nicht gedruckt sehen möchte, haben aus dieser Misere eine neue Idee geboren. 

Kennengelernt haben sich die beiden im Rahmen der WOGA 2022. Ihre gemeinsame Ausstellung in der leerstehenden Fahrradwerkstatt Pedalero in der Luisenstraße hat eine Reihe weiterer Künstlerinnen und Künstler zum Mitmachen angeregt. Das Konzept kam so gut an, dass immer mehr Ausstellungswillige dazukamen. Am Ende nutzten sie den Raum für insgesamt zehn Wochen weiter. Jedes Wochenende gab es Wechselausstellungen. Das WOGA-Wochenende war da schon längst vorbei. Das war die Geburt des Freien Kunst-Kollektivs. „Es gibt für Künstler:innen immer das Problem, dass es zu wenig Räume gibt“, sagt Le Dudds. 

Ende September konnten die beiden Initiatoren einen neuen Raum für ihr Kollektiv ergattern: die eingangs erwähnte, ehemalige Spielhalle. An sechs Wochenenden haben insgesamt zwanzig Kulturschaffende den Raum genutzt, um ihre Bilder auszustellen oder sich anderweitig kreativ zu betätigen. „Wir sehen uns überhaupt nicht als Kuratoren oder Galeristen“, sagt Mühlberger. Und ihr Kollege Le Dudds ergänzt: „Wir geben den Künstlerinnen und Künstlern nicht vor, was sie machen sollen. Die Räumlichkeiten können zum Beispiel auch als temporäres Atelier genutzt werden.“ Das sei schon mehrfach in Anspruch genommen worden. 

„Das Luisenviertel ist der Dreh- und Angelpunkt für die freie Wuppertaler Kulturszene.“

Christine Mühlberger

Die Voraussetzungen für das Konzept des FKK sind simpel: ein Zwischenmietvertrag, Strom für die Beleuchtung und die Möglichkeit, auch mal ein paar Nägel in die Wand zu schlagen. Eine funktionierende Heizung sei ein weiterer Pluspunkt, sagt Le Dudds, der sich an einige kalte Abende in der Luisenstraße erinnert. Die Tatsache, dass man seine Werke nicht wie üblich auf einer weißgetünchten Galeriewand platziert, sondern die vorgegebenen Flächen nutzen muss, sehen die beiden nicht unbedingt als Nachteil. Eher als willkommene und spannende Herausforderung. „Man ist gezwungen, mit dem Raum zu arbeiten, und muss sich darauf einlassen.“ Darauf einlassen müssen sich auch die Vermieter der leerstehenden Immobilie. Diesbezüglich sei im Vorfeld häufig Überzeugungsarbeit zu leisten, sagt Christine Mühlberger. „Viele scheuen den Aufwand, obwohl der sich absolut in Grenzen hält. Wir kümmern uns ja um alles.“

Willkommene Abwechslung
Genau wie die Kunstschaffenden, beschäftigen sich auch die Besucherinnen und Besucher mit dem Ausstellungsort. Die Vergangenheit der nun im Namen der Kunst zweckentfremdeten Räume sei häufig ein Thema, das viele ansprechen. „Besonders die Anwohner sind immer sehr interessiert“, so Mühlberger. Das Konzept der Zwischennutzung als Kulturraum werde von den allermeisten trotzdem als willkommene Abwechslung und als Alternative zum gastronomischen Angebot begrüßt. „Viele Menschen wollen mehr Kunst im Viertel“, ist sich Le Dudds sicher. Auch wenn es in der Vergangenheit die ein oder andere Beschwerde wegen der Lautstärke gegeben habe. Verständlich, denn schließlich ist im Aktionszeitraum jedes Wochenende Vernissage. „Wir haben während der Zeit in der Luisenstraße viel dazugelernt, was den Umgang mit Anwohnern betrifft“, so Le Dudds.

Beide Initiatoren pflegen eine lange und intensive Beziehung zum Luisenviertel, haben ihre Kindheit und Jugend hier verbracht. „Das Luisenviertel ist der Dreh- und Angelpunkt für die freie Wuppertaler Kulturszene“, sagt Christine Mühlberger. Trotzdem sind sie nicht abgeneigt, auch Räume in anderen Stadtteilen für FKK-Aktionen zu nutzen. Wichtig sei in erster Linie die fußläufige Erreichbarkeit. „Wir werden auf jeden Fall weitermachen“, so Le Dudds. Und die nächste Ausstellung ist bereits in Planung: Am ersten (2. und 3.12.) und am zweiten Wochenende (9. und 10.12.) im Dezember öffnen sich noch einmal die Türen zur Spielhalle in der Sophienstraße. Wer auch zukünftige Ausstellungen nicht verpassen will, dem sei der Instagram-Account fkk_wtal ans Herz gelegt.

Text: Marc Freudenhammer
Foto: Süleyman Kayaalp 

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