Ulrike Möltgen ist die wohl erfolgreichste Wuppertaler Illustratorin. Und sie ist ein Fan des Luisenviertels. Ein Gespräch über ihr neues Buch, den Winter und die Angst des Scheiterns.
Draußen die Kälte und drinnen ein wärmendes Kaminfeuer. Während manche Menschen dem Sommer noch hinterher trauern, freut sich Ulrike Möltgen auf die kalte Jahreszeit. Dann kann sie sich früh morgens mit einer Tasse frischem Kaffee in der Hand auf ihr Bett setzen und in den großen Baum vor ihrem Fenster starren. Bis zu eine Stunde kann dieses Ritual dauern. Aktuell blickt sie dabei noch in ein grünes Dickicht, schon bald werden sich die Blätter langsam ins Bräunliche färben und schließlich herunterfallen. Ulrike Möltgen wird sich daran erfreuen, sie hat ein Faible für melancholische Motive und eine romantische Stimmung. „Ich liebe Krähen“, sagt sie. Die schwarzen Vögel hätten es ihr angetan, weil sie etwas Mystisches haben. Vielleicht sieht man sie deshalb vorzugsweise in schwarzer Kleidung. Auf die Frage des Fotografen, ob sie noch ein helles Oberteil griffbereit habe, antwortet sie: „Nein, aber ein anders schwarzes.“ Dabei wäre es nicht richtig, Ulrike Möltgen als melancholische Natur zu beschreiben, die den Gang der Welt aus der zweiten Reihe beobachtet. Die Wuppertalerin hat einen unglaublichen kreativen Output – und sie setzt sich kämpferisch für ihre Ideen ein.
Für die Illustrationen in dem kürzlich erschienen Buch „Ein Weihnachtsgast“ von Selma Lagerlöf (Insel-Verlag) ist sie eingetaucht in weihnachtliche Geschichten wie „Die Heilige Nacht“, „Der Traumpfannkuchen“ und „Die Legende von der Christrose“. In der Kurzbeschreibung des Buches heißt es: „Weihnachten in Schweden, als es noch richtige Winter gab“. Möltgens Werke liefern dazu die Bildwelt und vor allem das Gefühl. Es sind durchaus romantische Motive, die den Blick in eine längst vergangene Zeit ermöglichen. Es sind Motive, die mit der kindlichen Erinnerung an die Adventszeit spielen, ohne aber dabei in reinen Kitsch zu verfallen. „Jedes der Motive hat auch ein paar surreale Elemente, die mit dieser lieblichen Weihnachtswelt brechen“, sagt Ulrike Möltgen. Diese gewollten Brüche mit der heilen Welt haben die Illustratorin schon das ein oder andere Mal anecken lassen. Manchmal müsse man eben für seine Ideen kämpfen, sagt sie.
Weihnachtsstimmung
Sie zeigt auf eine Collage, auf der sich drei Hunde vor einem surrealen türkisfarbenen Hintergrund zähnefletschend gegenüberstehen. „Das hier mag ich sehr“, sagt Möltgen. Die Körper der wolfsähnlichen Figuren sind verzerrt und in die Länge gezogen. Genau in der Mitte der Dreierkonstellation sieht man den Umriss einer Figur. Quer über das Bild sind mehrere Papierschnipsel verteilt, auf denen eine alte Handschrift erkennbar wird. Nur vereinzelt lassen sich Wörter entziffern. Das Bild wirkt alles andere als weihnachtlich.
„Man muss am Anfang Angst haben zu scheitern, sonst wird es nix.“
Ulrike Möltgen
Für den Titel hat sich der Verlag jedoch für ein anderes Motiv entschieden: eine in tiefblauen Tönen gemalte Winterlandschaft. Es ist Nacht und am Himmel zeigt sich der sichelförmige Mond, zwei Figuren bewegen sich durch den Schnee auf ein Haus zu. Sind es Mutter und Tochter? Gleich werden sie ihr Ziel erreicht haben und sich an der wohligen Wärme im Innern erfreuen können. Weihnachtsstimmung pur.
Keine Routine
„Die Idee für ein Motiv habe ich meist schon nach dem ersten oder zweiten Mal lesen.“ Für die Ausarbeitung liest sie einzelne Passagen bis zu fünfzehnmal. „Man muss immer aufpassen, dass die Details auch stimmen.“ Dabei sei jedes Projekt eine neue Herausforderung. Das muss so sein, findet Möltgen, die inzwischen geschätzt 60 Bücher illustriert hat. „Man muss am Anfang Angst haben zu scheitern, sonst wird es nix.“ Wenn man sich zu sicher ist, könne es passieren, dass sich eine Routine einstellt, die dem kreativen Prozess schadet. Einige der Bilder aus dem Buch finden sich auch in einem Kalender, den Ulrike Möltgen in einer Kleinstauflage produzieren ließ. Zusammen mit Illustrationen, die sie für ein Erich-Kästner-Buch angefertigt hat, das allerdings erst 2024 erscheint. Der Vorteil des Kalenders: Durch das größere Format lassen sich wesentlich mehr Details in den Bildern erkennen.
Zum Luisenviertel hat die heute 50-Jährige eine ganz besondere Beziehung. Schon als Jugendliche zog es Möltgen regelmäßig hierher: „Ich bin oft mit dem Skateboard vom Kuckelsberg ins Tal gefahren. Das war schneller.“ Unten angekommen verbrachte sie ihre Zeit dann gerne gemeinsam mit Freunden auf dem Laurentiusplatz. „Wir haben Pizza gegessen, geraucht, gequatscht.“
Auch heute sieht man die Illustratorin oft im Viertel: „Ich bin bestimmt viermal pro Woche da, trinke einen Kaffee im Katzengold oder schlendere durch die Friedrich-Ebert-Straße.“ Spätestens am 30. November wird sie sich wieder auf den Weg machen. Dann nämlich liest Olaf Reitz ausgesuchte Weihnachtsgeschichten aus ihrem neuen Buch im Katholischen Stadthaus. Organisiert wird die Veranstaltung von der Buchhandlung v. Mackensen.
Text: Marc Freudenhammer
Foto: Süleyman Kayaalp